04. 12. 2023 | MFI Asset Management

Kommentar: Kommunikation der EZB

Die Kommunikation der EZB
Oder: Der Turmbau zu Babel

Was hat die biblische Sage mit den Aussagen der  EZB-Rat-Mietglieder seit 2020 zu tun? Mit der für eine Notenbank katastrophalen Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Lage im Jahr 2021, die den damaligen Inflationsanstieg als lediglich vorübergehende („transitorische“) Entwicklung charakterisierte, die auch ohne Intervention der EZB wieder auf das Zielniveau von 2% zurückfallen würde, hat sich die EZB nicht nur als wissenschaftlicher Dilettant erwiesen. Sie hat mit dem daraus resultierenden untätigen, abwartenden Verhalten auch den Grundstein für die dann notwendige halsbrecherische Zinsorgie im Jahr 2022 gelegt.

Noch Ende 2021 wurde dem Markt signalisiert, dass Inflation kein Thema sei und die Zinsen bleiben könnten, wo sie sind. Entsprechend entspannt sahen Fondsmanager und Investoren die Lage. Natürlich waren der Krieg in der Ukraine und die daraus resultierenden Folgen für die EZB nicht absehbar, aber bereits im Januar 2022 - also noch vor Ausbruch des Krieges - lag die Inflationsrate in der Eurozone bei über 5% und damit weit entfernt von der Zielmarke der EZB. Realzinsen von -5,5% und Realrenditen von -5,2% schienen mit dieser Inflationsrate vereinbar, da man der EZB den vorübergehenden Charakter des Inflationsanstiegs glaubte.

Das Überschießen der Energie- und Rohstoffpreise im Sommer führte dann aber zu einer regelrechten Schnappatmung bei den Währungshütern, die mit dem stärksten Zinsschritt innerhalb eines Jahres seit Bestehen der EZB kuriert werden sollte. Man habe das Problem erkannt und die Zins- und Geldpolitik zu 100 Prozent auf die Inflationsbekämpfung ausgerichtet. Selbst wenn dieser restriktive Kurs zu einer Rezession führen sollte, sei man bereit, diese in Kauf zu nehmen. Die Inflationsbekämpfung sei eben wichtiger.

Der Vertrauensverlust, den die EZB als Institution durch ihre Fehlprognosen und ihre Kommunikationspolitik erlitten hat, ist in meinen Augen enorm. Fast noch schlimmer ist jedoch die Kakophonie der einzelnen Ratsmitglieder, die sich in regelmäßigen Abständen zur Situation äußern und dabei teilweise diametral entgegengesetzte Positionen vertreten. So äußerten sich z.B. am 2.6.2023 die vier Ratsmitglieder Panetta (Italien), Vasle (Slowenien), Kazaks (Lettland), Makhlouf (Irland) in Vorträgen zur Zinspolitik wie folgt:

Panetta: „... sind nicht mehr weit vom Zinsgipfel entfernt ... und (es ist) nicht die Zeit, die Zinsen zu schnell zu erhöhen.“. Der slowenische Vertreter Vasle hingegen sagte am selben Tag nur eine Stunde später: „...die Kerninflation bleibt hoch und hartnäckig. Weitere Zinsschritte sind notwendig, um das 2%-Ziel zu erreichen“. Dem schloss sich der irische Vertreter Makhlouf an: „...erwarte weitere Zinsschritte im Juni/Juli.“. Er sieht die Zinspolitik als rein datengetrieben, während der lettische Vertreter Kazaks sogar die Markterwartungen bestätigte, dass der Zinsgipfel bereits fast erreicht sei.  Dies alles vor dem Hintergrund der Aussage von Frau Lagarde noch am 1.6.2023, dass die EZB die Geldpolitik noch deutlich straffen müsse und der Zinserhöhungszyklus weitergehen müsse, da die Inflation immer noch zu hoch sei.

Beim Turmbau zu Babel war es allein die neue Sprachenvielfalt, die zu Verwirrung und Unverständnis führte.  Bei der EZB hingegen ist es der Inhalt der Aussagen. Politisch motiviert oder im Affekt, publikumswirksam oder einfach unüberlegt und unabgestimmt werden widersprüchliche Positionen und Parolen in den Raum geworfen, aus denen sich jeder das Plausibelste herauspicken kann.

Das hat nichts mit professioneller Kommunikation zu tun und ist keinesfalls das, was der Markt unter Forward-Guidance versteht. Es führt nur zu mehr Volatilität und Fehlentscheidungen am Markt. Wenn die EZB das will, dann hat sie ihr Ziel erreicht.

Das Vertrauen in die Institution und die handelnden Personen wird dadurch nicht wiederhergestellt. Wenn die Ratsmitglieder ihre unterschiedlichen Positionen und Ansichten nicht nur in den internen Beratungen, sondern auch auf dem Marktplatz ausbreiten, führt das zu Unsicherheit und Beliebigkeit. Herr Weidmann hat sich öffentlich sehr zurückgehalten, als mit dem Ankauf von Staatsanleihen das erste Tabu gebrochen wurde. Eine intensive öffentliche Diskussion, die damals angesichts der aktuellen Öffentlichkeitsarbeit der EZB-Ratsmitglieder sicherlich angebracht gewesen wäre, fand nicht statt. Der Rücktritt war das deutliche, unausgesprochene Zeichen seiner Gegenposition.  

Die Bundesbank war in dieser Hinsicht sicherlich ein Vorbild in der Kommunikation (oder besser: Nichtkommunikation) ihrer Entscheidungen. Das Ansehen von Kompetenz, Autorität und Unabhängigkeit einer Notenbank wird durch die öffentliche Präsentation von Gegenpositionen nicht gerade gestärkt. Die Verhaltensregel der verstorbenen Queen – „never complain, never explain“ - für die Mitglieder des Königshauses mag extrem klingen, hat aber durchaus etwas für sich. Unnötige und widersprüchliche Kommunikation einer Institution schadet ihrem Ansehen und Vertrauen. Etwas weniger wäre in diesem Fall also mehr.

Der Turmbau zu Babel konnte nicht weiter gebaut werden, weil Gott laut Bibel den Menschen verschiedene Sprachen gegeben hat und die Menschen sich nicht mehr verstehen konnten. Die EZB spricht zwar die gleiche verständliche Sprache, führt aber inhaltlich in die Irre. Das Bauprojekt des Euroraums ist noch nicht abgeschlossen und die bisherige Konstruktion noch fragil. Architekten, Bauherren und Gebäudemanager sollten sich daher darüber verständigen und entsprechend kommunizieren, was zu tun ist, um den Bau bewohnbar und sturmsicher zu machen.

Welche Schlüsse ziehen wir nun aus dieser Gemengelage? Zum einen ist es weiter sinnvoll, anstatt auf die Kommentierungen der Notenbankpolitik durch einzelne Ratsmitglieder zu hören oder gar zu reagieren, auf die für die Notenbankpolitik maßgeblichen Einflussfaktoren und Daten zu schauen.

Genauso wie es Ende 2021 wichtig war, zu erkennen, dass eine Rendite für 10-jährige Bundesanleihen von -0,4% mit einer Inflationsrate von über 4,5% nicht vereinbar ist, anstatt an die damals verkündete Transitorik der Inflationsentwicklung zu glauben, ist es auch heute vernünftig, die Entwicklung von Konjunktur und Inflationsrate zu analysieren und daraus Entscheidungen abzuleiten, anstatt reflexartig auf die höchst unterschiedlichen Interpretationen durch die Ratsmitglieder zu reagieren. Die Notenbankpolitik wird sich nämlich der Entwicklung der Realwirtschaft nicht entziehen können, wenn sie Vernunft-getrieben ausgerichtet ist.

„Hätten sie geschwiegen, sie wären Philosophen geblieben.“ Ich denke, dieses alte lateinische Sprichwort trifft es präzise.

Ihr

Johann Peter Roßgoderer