20. 11. 2020 | MFI Asset Management

Die EZB leidet an schwerer kognitiver Dissonanz

Der Bundesfinanzminister hat am Sonntagabend, den 15. November 2020 auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben, dass der Bund für die Jahre 2020 und 2021 zusammen etwas mehr als 300 Mrd. € neue Schulden aufnehmen wird. Allein für 2021 seien ca. 160 Mrd. € eingeplant, wobei wir wohl "...nicht alles ausgeben müssen, was wir an Kreditermächtigungen für das Jahr 2022  haben.", so Olaf Scholz hoffnungsfroh. Dieser expansive Exzess wird durch namhafte Ökonomen wie Bert Rürup mit dem Hinweis entschuldigt, dass die Regeln der Schuldenbremse für die heutige Zeit falsch konzipiert seien.

Nun ist es sicher so, dass die Überwindung der Corona-Krise den Staat sehr viel Geld kostet und noch kosten wird. Die Notwendigkeit staatlicher Unterstützung in einer Naturkatastrophe ist unbestreitbar, lediglich über das Ausmaß und die Art und Weise könnte man diskutieren.

Mit einer Nettokreditaufnahme in Höhe von ca 8% des Bruttoinlandsprodukts  wird die Schuldenquote wegen des Rückgangs des Bruttoinlandsproduktes auf etwa 80% steigen. Für Deutschland ist das kein Anstieg, der geradewegs in den fiskalischen Abgrund führen sollte. Die Entwicklung nach 2008 kann hier sicher beispielhaft sein. Für andere Länder des Euroraums sieht die Situation deutlich brenzliger aus. Italien wird durch den Konjunktureinbruch sowie die rettungsmaßnahmen seine Verschuldung auf ca 160% des Bruttoinlandprodukts anheben und auch Spanien, Portugal und – natürlich - Griechenland sind verschuldungsmäßig in einer schwierigen Lage.

Der Kapitalmarkt – so man ihn denn noch so nennen sollte - also der Marktplatz, an dem Kapitalangebot und die Kapitalnachfrage zusammengeführt werden, hat sich aber von den fiskalpolitischen Klimmzügen der Euroländer nur sehr kurz verunsichern lassen. Die unbedachte Äusserung der EZB-Präsidentin Lagarde im März, die EZB sei nicht für Spreads zuständig, führte den Markt zwar ganz kurz an ein Nahtod-Erlebnis nach Klärung der Situation durch die EZB und den Signalen des 750 Mrd € Wiederaufbauprogramms der EU und deren EZB-Finanzierung konnte er sich aber sofort wieder seinem Grundnarrativ widmen, das da lautet:  Die EZB kann die Zinsen nicht mehr anheben und wird dafür sorgen, dass die Renditen auf ein Niveau fallen, das den Ländern die steigende Verschuldung problemlos ermöglicht. Zudem stellt die unlimitierte Kreditvergabe zu Negativzinsen an den Bankensektor sicher, dass die Kreditvergabe an Unternehmen und Private zu Niedrigstkonditionen steigt und die großen Unternehmen ihre Zinslast durch das aktive Eingreifen der EZB am Sekundärmarkt senken können. Die Japanisierung der Geldpolitik bietet Investoren solange weiter erhebliche Kursgewinne, solange diese Politik dafür sorgt, dass die Renditen fallen.

Mit der bisherigen Umsetzung ihres Aufkaufprogramms in Höhe von mehr als 3.2 Billionen € in Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und Covered Bonds seit 2015 und verstärkt seit 2020 hat die EZB ca 30% aller ausstehenden Staatsanleihen in ihrem Bestand und einen sehr hohen Anteil aller  ausstehenden Unternehmensanleihen ausserhalb des Bankenbereichs vom Markt genommen. Die Verkäufer dieser Bestände - institutionelle Investoren, Fonds, Banken- brauchen für den Cash-Gegenwert neue Investitionsmöglichkeiten, die die Preise anderer Assetklassen steigen lassen.      

Die EZB hat seit März etwa im Volumen von 71% aller Neuemissionen Staatsanleihen am Sekundärmarkt gekauft Unternehmen können sich am Markt ebenfalls zu 0% und darunter refinanzieren.

Wenn da seitens einiger EZB Ratsmitglieder immer noch davon gesprochen wird, die Aufkaufprogramme hätten keine Auswirkungen auf die Marktrenditen, ist das nur mit schwerer kognitiver Dissonanz zu erklären. Mit ihrem Verweis auf die deflationären Gefahren der Krise betreibt die EZB Augenwischerei. Wenn es ihr allein darum ginge, müßte sie ihr Augenmerk hauptsächlich auf die Kreditversorgung und die Entwicklung der Geldmengenaggregate richten. Diese aber steigen nun seit einiger Zeit schon mit zweistelligen Zuwachsraten. Die Transmission der Geldpolitik funktioniert also dank der üppigen und günstigen Kreditversorgung der Banken.

Die zusätzliche Schaffung von Liquidität im Kapitalmarkt durch den Aufkauf von Anleihen führt jedoch zu keiner direkten Ausweitung der Kreditaktivität, da die dadurch geschaffenen Cashbestände dafür  nicht vorgesehen und geeignet sind. Ein Pensionsfonds wird das Cash aus dem Verkauf von Anleihen nicht dafür verwenden, zusätzliche Ausschüttungen an die Pensionsempfänger vorzunehmen, Eine Stiftung wird das ihr zufließende Cash nicht für die zusätzliche Finanzierung von Stiftungsprojekten verwenden können und Versicherungen nutzen das Cash aus dem Verkauf von Anleihen nicht für eine Senkung der Prämien oder eine Erhöhung von Versicherungsleistungen. Publikumsfonds und ETFs müssen das generierte Cash wieder in andere Assets investieren und schütten es nicht an die Anteilsinhaber aus. Die Banken selber, über die die Aufkäufe der EZB abgewickelt werden, halten schon seit einiger Zeit kaum  mehr Staatsanleihen auf der Aktivseite (in den Core-Ländern)  bzw. haben im Fall der Peripheriebanken ihre Bestände sogar noch ausgeweitet.

Die aufgekauften Volumina stammen daher nicht mehr aus dem Bankenbereich sondern überwiegend von institutionellen Investoren.  

Im institutionellen Bereich wirkt die Geldschwemme jedoch nicht konsumwirksam, sondern führt nur zu Umschichtungen. Aktienquoten werden erhöht, Immobilien gekauft, Infrastrukturprojekte und Alternative Investments sind die vermeintlichen Auswege aus der fehlenden Rendite am Rentenmarkt.

Damit bleibt nur als Erklärungsansatz für die EZB Politik der, der auf die Refinanzierungskonditionen der Peripheriestaaten gerichtet ist. Nicht die Liquidität selber ist das Ziel, sondern der permanente Druck auf die Renditen, der mit dem Kaufprogramm existiert.  Niedrige Renditen sollen die Zinslast der Staaten und damit – wie Rürup richtig ausführt - die Zins / Steuer-Quote dauerhaft niedrig halten.

Eine niedrige Zins / Steuerlast kann durch steigende Steuereinnahmen oder aber durch fallende Zinskosten erreicht werden. Da ersteres aktuell nicht möglich ist, bleibt nur der Zins als beeinflussbarer Parameter. Wenn die Zinsen auf Null fallen, kann sich der Staat einen beliebig hohen Schuldenstand leisten, da er dafür keine Zinsen aufwenden muss. Japan dient hier wieder als das beste Beispiel. Mit einem Schuldenstand von ca 340% zum BIP weist Japan die weltweit höchste Verschuldungsquote aus. Da aber der durchschnittliche Zinssatz für diesen Schuldenstand bei nahe 0% liegt ist die Zinsbelastung für den Staatshaushalt ebenfalls nahe Null. 

Inwieweit aber eine Senkung der Refinanzierungskonditionen für die Staaten deflationären Gefahren entgegenwirkt ist weniger offensichtlich. 

Es scheint, als sehen wir gerade eine notenbankpolitische Zeitenwende - mit ungewissem Ausgang.