15. 03. 2022 | MFI Asset Management

Eine Kutschfahrt, die ist lustig, eine Kutschfahrt, die ist schön……

Was das alte Kutscherlied mit der EZB-Politik und der Inflation zu tun hat.

Die Notenbankpolitik der Europäischen Zentralbank war in den letzten Monaten durch eine stark abwartende Haltung geprägt. Eine ruhige Hand und das vorausschauende Handeln sind für einen Kutscher auch durchaus vorteilhafte Eigenschaften. Aber sicher nicht für die aktuelle EZB-Politik, die gerade mit Untätigkeit und dem Aufschieben von Handlungsentscheidungen in der Erwartung und Hoffnung, dass sich die Situation wieder bessert, wenig überzeugt.

Eine Inflationsproblematik, die man nicht als solche wahrnimmt, weil sie sich ja von selber wieder auflöst – so die Idee und Prognose – müsse man auch nicht durch eine restriktivere Politik bekämpfen. Es könne alles bleiben, wie es ist und alles werde wieder gut. Nur keine Unsicherheit oder gar Panik zeigen und damit den Markt verunsichern, so die Devise zumindest bei den Tauben im Rat, die sich bisher durchgesetzt haben.

Die Falken hingegen weisen schon seit längerem darauf hin, dass eine Inflationsrate von über 5 % mit der aktuellen Ausrichtung der notenbankpolitischen Instrumente nicht vereinbar und daher eine Änderung längst überfällig sei. Wie wolle man der Aufgabe gerecht werden, die Währungsstabilität zu gewährleisten, wenn auf so extreme Veränderungen des Inflationsumfeldes nicht mit einer Anpassung der expansiven Ausrichtung der zins- und geldpolitischen Instrumente reagiert wird? Will man denn die Glaubwürdigkeit, das höchste Gut einer Zentralbank, mutwillig zerstören?

Die Tauben entgegnen den Falken, man könne keinen Systemkollaps riskieren. Steigende Renditen könnten zu einer Euro- und Bankenkrise 2.0 führen. Und wenn die Systemstabilität verloren ginge, wäre auch die Inflationsentwicklung zweitrangig. Zudem schade eine restriktivere Politik der durch den Ukraine-Krieg ohnehin deutlich geschwächten Konjunktur. Solle man sich denn sehenden Auges durch Zinsanhebungen freiwillig in eine Rezession begeben?

Bei einer galoppierenden Inflation werden die wirtschaftlichen Belastungen für alle sicher größer ausfallen als die Nachteile, die durch eine Rezession in Kauf genommen würden, antworten die Falken. Was machen wir denn, wenn die Inflation weiter steigt und sich nicht wieder von selbst beruhigt? Sehen wir dabei zu, wie die Währung vor die Hunde geht? Wer übernimmt die politische Verantwortung für eine Hyperinflation mit anschließendem Währungsschnitt, so die Falken?

Und wer übernimmt die Verantwortung dafür, dass uns der Euro-Laden auseinanderfliegt, wenn wir die Zinsen anheben, so die Tauben?  Und überhaupt, wie weit müsste man denn die Zinsen anheben, um einen Effekt auf die Inflationsrate zu auszuüben? Auf 1 %, 2 % oder wie weit?

Lasst uns also lieber stillhalten und abwarten, bis sich das Gewitter verzogen hat. Dann recken wir unsere Köpfe wieder aus dem Sand und vielleicht ist dann wieder alles gut.  

Das aber ist nach Albert Einstein, die reinste Form des Wahnsinns, alles beim alten zu lassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert.

Was aber wäre zu tun? Nun, es sollten angesichts einer Inflationsentwicklung wie wir sie seit mehr als 40 Jahren nicht mehr gesehen haben zumindest die Notenbankmaßnahmen mit den offensichtlichsten und größten Kollateralschäden revidiert werden. Es ist ja nicht so, dass die aktuelle Ausrichtung mit Negativzinsen und üppigen Liquiditätsspritzen für die Wirtschaft keine inflations-treibende Kraft mehr ausüben würden. Nein, die Politik ist immer noch so extrem expansiv, als bestünde die akute Gefahr einer Deflation und Rezession. Eine Normalisierung hin zu einer zumindest neutralen Ausrichtung ist daher dringend notwendig.

Bis ins Jahr 2009 waren die Realzinsen seit dem 2. Weltkrieg im Schnitt mit 1,4 % im positiven Bereich. Die Notenbanken in den USA, Europa und Asien meinten, drohenden Inflationsentwicklungen systematisch damit begegnen zu können, dass sie die Zügel immer etwas angezogen gehalten haben.

Seit dem Jahr 2009 ist dieser Realzins mit -1,4 % im Schnitt deutlich negativ. Die Gefahr wurde seitens der Notenbanken nicht mehr in zu hohen, sondern zu niedrigen Inflationsraten gesehen. Diese Zinspolitik wurde seit dem Jahr 2012 durch den Aufkauf von Staatsanleihen begleitet, deren Umfang die Geldbasis seither verzehnfacht hat. 

Womit wir wieder beim Bild der Kutschfahrt wären. Die Zügel, die bis 2009 angezogen waren, wurden nicht nur gelockert, sondern völlig fallen gelassen, da man die Kutsche auf immerwährend ansteigendem Gelände vermutete. Aber ist die Kutschfahrt nun immer noch so „lustig“? Auf nunmehr abschüssiger Strecke bleibt nur die Hoffnung auf einen Wiederanstieg der Strecke, der die wilde Fahrt verlangsamt (fallende Inflation). Keinesfalls sollte jetzt eine zu enge Kurve (Krieg in der Ukraine) auf der abschüssigen Strecke kommen. Diese könnte die Kutsche aus der Kurve tragen und zu einer Havarie führen. Auch die Abbremsung mit der Handbremse (schneller Zinsanstieg) ist gefährlich, da die entstehende Unwucht den Wagen umwerfen könnte. Nicht zuletzt besteht auch die große Gefahr, dass die Geschwindigkeit und damit die Masse des Kutschwagens gar die Pferde überrollt (Hyperinflation). Alles keine wirklich „schöne“ Kutschfahrt.

Welche Schritte wären also sinnvoll, die die Kutsche nicht gefährden und deren Geschwindigkeit etwas abbremsen können.

1. Zinsen

Die Zinsen sollten aus dem negativen Bereich auf 0% angehoben werden, damit die psychologische Belastung von den Sparern genommen wird, für ihr eigenes, bei den Banken gehaltenes Guthaben auch noch Geld für die „Verwahrung“ zahlen zu müssen. Das führt bei vielen dazu, in Assets umzuschichten und damit Risiken einzugehen, die sie unter normalen Umständen nicht gehen würden. Für viele ist das Verwahrentgelt noch schlimmer, als Steuern zu zahlen. Der Fehlallokation sowie der Blasenbildung in bestimmten Anlagesegmenten könnte man durch den Wegfall dieser „Gebühr“ entgegenwirken, ohne Verwerfungen damit zu riskieren.

2. Langfristkredite an den Bankensektor

Die Aufblähung der Liquidität um € 2,4 Billionen durch die Vergabe von langfristigen (3 jährigen) Krediten zu extrem günstigen Konditionen sollte nicht weiter verlängert werden. Fällige Kredite sollten ersatzlos gestrichen und dadurch die Geldbasis wieder reduziert werden. Die Banken nutzen die Kredite zu einem Zinssatz von -1% (d.h. die Banken bekommen von der EZB  einen Zinssatz von 1% p.a. für die aufgenommenen Beträge) nicht, um Kredite an Private und Firmen zu vergeben, sondern Teile davon, um risikolos Arbitrage bei der EZB zu betreiben (ca. € 700 Mrd. sind wieder bei der EZB zu einem Satz von -0,5% angelegt) und den Rest, um in ertragreichere Assets zu investieren (und damit wieder die  Blasenbildung zu fördern). Konjunkturell ist der Effekt dieser Kreditvergabe an die Banken zu vernachlässigen. Er stellt lediglich eine Subventionierung des Bankensystems dar und bläht die Geldbasis unnötig auf.

3. Aufkauf von Anleihen

Der Aufkauf von Anleihen wirkt ebenfalls erhöhend auf die Geldbasis. Der Wert der aufgekauften Anleihen ist seit 2012 von ca. € 0,2 Billionen auf aktuell ca. 4,6 Billionen gestiegen. Diese von der EZB geschaffene Liquidität befindet sich im Wesentlich in der Sphäre der Kapitalsammelstellen und bei den Banken. Sie führt zu einer Umschichtung in der Asset Allocation in Richtung riskanterer Assets, da die Renditen von Anleihen wegen der Aufkäufe auf historisch niedrige Niveaus gesunken sind. Blasen am Aktien-, Immobilien- und Rohstoffmarkt wurden dadurch verursacht oder zumindest gefördert. Die Rückführung des Aufkaufvolumens oder besser die Aufgabe des Programms würde bedeuten, dass die Geldbasis nicht weiter steigt und keine unerwünschten Effekte am Kapitalmarkt mehr verursacht. Um aber den kritischen Staaten Italien, Spanien, Portugal und Frankreich eine tragbare Refinanzierung ihrer Staatsschulden zu ermöglichen, könnte die EZB als Versicherungsgeber im CDS-Markt auftreten. Die Spreads zu Bundesanleihen könnten dadurch über den Arbitrage- Zusammenhang in Zaum gehalten werden.

Alle diese Schritte würden die Kutsche in ihrer wilden Abfahrt nicht gefährden, sie könnten aber dazu beitragen, dass sie Gewicht verliert, die Pferde stark bleiben und damit die Fahrt etwas sicherer wird. Einen Wiederanstieg des Streckenprofils werden sie aber allein nicht bewirken. Darauf müssen wir jetzt wohl tatsächlich warten und auch hoffen.

Ihr Johann-Peter Roßgoderer