04. 10. 2021 | MFI Asset Management

Paracelsus, die EZB und diese Sache mit der Dosis

Dem Schweizer Arzt, Alchimist und Philosoph Philippus von Hohenheim , besser bekannt unter dem Namen Paracelsus, wird die Erkenntnis zugeordnet: "Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift ist."

Er meinte damit, dass jeder Stoff, jedes Nahrungsmittel, jede Arznei grundsätzlich für den Menschen gefährlich ist, wenn sie dem Körper nur ausreichend hoch dosiert zugeführt werden. Selbst an sich harmlose und für den Menschen lebensnotwendige Stoffe wie Wasser oder Grundnahrungsmittel, können in einer entsprechenden Überdosierung tödlich sein. Daher ist das Maß, mit dem die Stoffe, Nahrungsmittel und Arzneien zu sich genommen werden, so wichtig und entscheidend ob wohltuend und heilend oder schädlich und krankmachend.

Man kann die EZB bei ihrer Aufgabe der Wahrung der Stabilität der Währung und der Finanzstabilität durchaus als Arzt betrachten, der dem Patienten – hier der Volkswirtschaft und der Finanzwirtschaft des Währungsraums, für den die EZB verantwortlich ist, die jeweils richtige und wohldosierte Medizin verabreicht. 

Der Patient Euroland leidet seit längerem an einer Anämie, die Antriebslosigkeit und depressive Phasen bis hin zu Selbstmordgedanken verursacht. Der Arzt hat dem Patienten daher seit 2011 Aufputschmittel und Anti-Depressiva verordnet, die immer höher dosiert eingesetzt wurden. Damit konnte der Zustand über Jahre hinweg zumindest stabilisiert werden.

Seit kurzem aber zeigt der Patient einen deutlich steigenden Blutdruck, der auf sein stressigeres Arbeitsumfeld vor allem aber auf die Nebenwirkung der Anti-Depressiva und Aufputschmittel zurückzuführen ist. Zudem scheint der Patient nach den vielen Jahren von den verabreichten Medikamenten abhängig zu sein.   

Eine Entziehungskur würde den Patienten wahrscheinlich in den Selbstmord treiben und wird daher erst gar nicht in Betracht gezogen. Die Gefahren des gestiegenen Blutdrucks werden daher in Kauf genommen, da sie nicht unmittelbar drohen und sich das Arbeitsumfeld des Patienten wieder normalisieren sollte. Dadurch dürfte auch der Blutdruck des Patienten von selbst wieder fallen, so die Argumentation des Arztes.  Zudem seien als Ursache des Bluthochdrucks die Nebenwirkungen der verabreichten Aufputschmittel nicht nachgewiesen.

Nun, die Aufputschmittel in Form von Negativzinsen, einer Geldmengenausweitung durch den Aufkauf von Anleihen in Höhe von 50% des Bruttoinlandsprodukts und der Kreditvergabe an Banken zu einem Zinssatz von -1% stellen eine massive Medikation dar, für die es in der jüngeren Geschichte der Geldpolitik kein vergleichbares Beispiel gibt.

Die Selbstmordgedanken konnten durch diese Politik vertrieben werden und die Aufputschmittel haben für eine Stabilisierung der Lage gesorgt. Die Abhängigkeit von den Medikamenten ist aber Fakt und ein Absetzen ohne die neuerliche Gefahr eines Exitus nicht möglich.

Der Bluthochdruck ist aufgrund der Corona-Auswirkungen, vor allem aber auch wegen der Nebenwirkungen der Medikamente entstanden. Auf Einlagen zu zahlende Negativ-(Straf-)zinsen werden als noch bedrückendere Repression betrachtet als Steuern. Es gilt, sie mit allen Mitteln zu vermeiden. Also weiter rein in Immobilien, Aktien etc. Damit verbundene Risiken einfach ausblenden, Augen zu und durch. Hauptsache die Banken bekommen nichts fürs Nichtstun.

Die durch die Aufkäufe von Anleihen bei den Kapitalsammelstellen geschaffene Liquidität muss ebenfalls wieder investiert werden. Wenn Anleihen keine positiven Renditen mehr bieten, wird der Immobilien- und Aktienbestand angehoben. Hilft ja nichts.

Und die Kreditvergabe an die Banken zu -1% wird mangels sinnvoller Anlagealternativen in großen Teilen einfach wieder direkt bei der EZB zu -0,5% angelegt. Passt schon.  

Die EZB als verantwortliche Instanz zur Analyse der Situation und Steuerung der Instrumente sollte sich darüber im Klaren sein, dass der Transmissionsmechanismus über die Geldmengenausweitung nicht mehr funktioniert. Mit dem zusätzlich verfügbaren Kapital wird spekuliert und Arbitrage betrieben. Es führt nicht mehr zu einem Anstieg von Konsumenten- und Investitionskrediten im klassischen Sinn, sondern zu einer Ausweitung der ohnehin schon bestehenden Blasen.

Der Negativzins, der von den Banken an die Kunden weitergegeben wird, führt nur bedingt zu einer Ausweitung der Konsumausgaben. Der größere Teil wird ebenfalls spekulativen Zwecken zugeführt.

Damit ist die Ausrichtung der Zins- und Geldpolitik mit Blick auf das Ziel Stabilität der Währung und Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr funktionsfähig. Die extreme Dosierung macht einfach keinen Sinn mehr. Die offensichtlichen, schädlichen Nebenwirkungen rechtfertigen den Einsatz der Mittel im aktuellen Umfang nicht mehr. 

Lediglich die Zielsetzung einer möglichst günstigen Refinanzierung der Einzelstaaten sowie der EU wird damit weiter gewährleistet. Das ist nicht wenig angesichts der existentiellen Erfahrungen aus 2011/2012. Die Mitglieder des EZB-Rates sollten aber so ehrlich sein, das zuzugeben und die eigentlichen, aktuellen Prioritäten ihrer Politik kommunizieren.

Es ist ein schwieriges Unterfangen, die Mittel mit Blick auf Zielsetzung und Nebenwirkungen wieder richtig zu dosieren.

Zinssätze:

  • Ein Anfang wäre es, den Einlagensatz wieder auf 0% anzuheben und damit den psychologischen Drang privater und institutioneller Anleger aus Kontoguthaben raus in riskante Anlageformen zu beseitigen. Es ist eben psychologisch ein großer Unterschied, ob man als Bankkunde auf sein Sparguthaben Strafzinsen zahlen muss, oder ob sich das Guthaben ‚nur‘ nicht verzinst. Die asymmetrische Nutzenfunktion der Konsumenten lässt hier grüßen.

Bankenkreditprogramm:

  • Zudem stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, die Banken über eingeräumte Arbitragemöglichkeiten zu subventionieren. Mit aktuell 800 Mrd. € liegen ca. 33% der vergebenen Notfallkredite i.H.v.  2,3 Billionen € bei der EZB. Der Gewöhnungseffekt wirkt auch hier. Zudem ist zu hinterfragen, worin der Sinn dieser Subvention liegt. Eine Neuauflage des Kreditprogramms nach Auslaufen der letzten Kredite im Jahr 2024 ist somit unsinnig.

Aufkauf von Staatsanleihen:

  • Da der Aufkauf von Anleihen durch die EZB weiter neue Liquidität bei Anlegern schafft und damit die oben beschriebene Problematik verschärft, sollte die EZB überlegen, ob es nicht andere Instrumente nutzen kann, um das eigentliche oberste Ziel zu erreichen. Anstatt direkt Staatsanleihen aufzukaufen, könnte die EZB als CDS–Verkäufer am Markt auftreten und über die angebotenen Swap-Spreads die Renditen der Euro-Staatsanleihen ebenso kontrollieren, wie sie es derzeit durch den Aufkauf der Anleihen umsetzt. Der Arbitragezusammenhang wirkt hier sicher perfekt. Der Vorteil der CDS-Lösung wäre es, keine neue Liquidität im Markt zu schaffen. Dies würde der Blasenbildung vorbeugen und auch der Zielsetzung der Währungsstabilität besser genügen. Die EZB hätte laufende Prämieneinnahmen und das Risiko aus den Kontrakten entspricht dem Bonitätsrisiko der einzelnen Staaten, genau wie beim Kauf der Anleihen.   

Es ist eine unübersichtliche Gemengelage, mit der die EZB konfrontiert ist. Bedrohte EURO-Stabilität, Inflationsanstieg, Corona-Auswirkungen, gestiegene Staatsverschuldung, neue EU-Anleihen, unterschiedliche Ansichten der Ratsmitglieder und, und, und....

Paracelsus übrigens soll an einer Quecksilbervergiftung gestorben sein, die er sich bei der Eigenbehandlung gegen die Syphilis zugezogen hat. Man sieht, auch Profis in Sachen Dosierung können dramatische Fehler machen, die nicht mehr zu korrigieren sind.