Der ehemalige Präsident der EZB und jetzige Ministerpräsident Italiens Draghi sähe den Maastricht-Vertrag gerne als irrelevant für die künftige Fiskalpolitik seines Landes und Eurolands insgesamt.
Die Corona-Krise hat in Italien nicht nur für viel Leid und Belastungen in der Bevölkerung gesorgt. Auch den Staatsfinanzen hat die Pandemie nach den zarten Stabilisierungstendenzen der letzten Jahre regelrecht die Luft abgeschnitten. Mit einer aktuellen Schuldenlast von mehr als 2,68 Billionen € steht das Land an der Spitze aller europäischen Länder und bei der Schuldenquote mit 158% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt nach Japan und Griechenland sogar an Nummer drei aller industrialisierten Länder. Die Quote liegt damit nochmal um 20%-Punkte über dem Stabilisierungsniveau von vor 2 Jahren. Bei einer durchschnittlichen Zinshöhe von 2,5% auf alle Schulden, bedeutet der Schuldenstand eine jährliche Zinslast von über 65 Mrd.€. Diese Zinslast ist wegen der seit drei Jahren noch einmal deutlich gesunkenen Renditen dabei nicht einmal gestiegen sondern sogar gefallen. In Relation zum BIP lag sie 2015 noch bei über 4% während sie aktuell trotz des absolut deutlich höheren Schuldenstandes bei nurmehr 3,5% liegen wird.
Fallende Renditen sind für hochverschuldete Staaten das wirksamste Mittel gegen Budgetprobleme.
Bei aktuellen Renditen für italienische Staatsanleihen von -0,46% bis 1,8% (für Anleihen mit einer Laufzeit von 1 bis 30 Jahren) scheint der weitere Spielraum einer Entlastung durch fallende Renditen aber nunmehr sehr begrenzt. Durch den Nachlaufeffekt wird die Zinsbelastung im Vergleich zwar noch etwas weiter sinken, aber für’s erste scheint die Luft hier raus zu sein. Soweit so gut, der aktuelle Schuldenstand ist also angesichts niedriger Zinsen mit einer jährlichen Zinslast von 60 Mrd. € im Vergleich zur Vergangenheit eigentlich gut zu schultern.
Und es naht Hilfe durch die EU in Form des Wiederaufbaufonds, der den Italienern insgesamt ca. 190 Mrd. € an Hilfen zukommen lässt. Davon sind 69 Mrd. € nicht-rückzahlbaren Zuschüsse und 120 Mrd. € rückzuzahlende Kredite zu EU-Konditionen, die etwa 1% unter dem aktuellen italienischen Niveau liegen. Damit bekommt Italien zusätzlich Luft.
Aber langfristig lauert auch eine große Gefahr. Für die aktuell extrem niedrigen Renditen in Euroland ist wesentlich die EZB verantwortlich. Mit einem Zinssatz von -0,50% für Bankeinlagen sowie einem Aufkaufprogramm in Höhe von mtl. 100 Mrd. € (PEPP,APP) sorgt sie dafür, dass die Refinanzierungskonditionen angesichts des aktuellen fundamentalen Datenkranzes auf einem Niveau liegen, das ohne die unausgesprochene Selbstverpflichtung der EZB auf das Ziel der Finanzmarktstabilität nicht denkbar wäre. Mit den Konstrukt des Wiederaufbaufonds sowie den Aufkaufprogrammen der EZB scheinen die Dämme gegen eine gemeinschaftliche Schuldenpolitik in der EU und insbesondere Euroland offenbar gebrochen. Die Vereinheitlichung der Refinanzierungskonditionen für alle Länder scheint damit in greifbare Nähe gerückt und die EZB sorgt dafür dass diese Konditionen auf niedrigst-möglichem Niveau liegen. Bei Zinsen von 0% ist jede Verschuldung tragbar (siehe Japan) und alles wird problemlos finanzierbar.
Wären da nicht diese Fesseln aus grauer Vorzeit, bei denen ohnehin keiner mehr weiß, wieso man sie überhaupt eingeführt hat, benannt nach einer Stadt in Belgien – oder war es Holland- die kaum einer kennt. Wären diese Regeln, ohnehin vielfach gebrochen und damit sinnentleert, nicht mehr Stachel im Fleisch aller Monetaristen und Modern Monetary Theoretiker (und hin und wieder Thema für das deutsche Verfassungsgericht), die Welt könnte so schön und einfach sein. Alle Wünsche würden erfüllt und keiner müsste dafür zahlen, keine Budgetrestriktionen mehr und alle würden wiedergewählt. Welch eine Wonne, welch ein Leben in Saus und Braus. Auch unsere Kinder und Kindeskinder müssten sich bei Zinsen von 0% nie mehr Sorgen um ihre Schulden machen. Nicht mehr als ein Merkposten, eine Zahl ohne Bedeutung, eine Last, die sich selbst trägt.
Herr Draghi als langjähriger Präsident der EZB kennt natürlich alle diese Zusammenhänge und ist sich der Bedeutung der Zins- und Renditeniveaus für die Tragfähigkeit von Schulden bewußt. Die Abschaffung der Maastricht-Regeln würde ihn zwar von formalen Grenzen der Kreditaufnahme befreien, aber erst die Sicherstellung des italienischen Zins- und Renditeniveaus auf oder zumindest nahe dem deutschem Niveau durch die EZB würde ihm langfristig Sicherheit geben. Und das auch nur, solange die EZB nicht irgendwann doch auch wieder auf die Geldwertstabilität achten muss. Mal schauen, wie groß sein Einfluss in Frankfurt noch ist.