Inflation: Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?
Obwohl in Zeiten von Gender-Correctness und der Wahrung der Minderheitenrechte mit problematischem Namen versehen, erinnere ich mich derzeit oft an ein altes Kinderspiel mit obigem Namen. An dieser Stelle sei auch kurz klargestellt, dass der Ursprung des Spiels bzw. seine Bedeutung im Bezug zum Tod steht, also dem „Sensenmann“ in schwarzer Gestalt, oder der Pest, auch „schwarzer Tod“ genannt, die seinerzeit durch bloße Berührung weitergegeben wurde. Und keineswegs einem rassistischen Stereotyp entspricht.
Wir spielten das Spiel oft im Sportunterricht oder im Pausenhof. Und es funktionierte folgendermaßen. Ein Kind stellte sich auf der einen Seite eines Platzes auf und die übrigen auf der anderen Seite. Das Spiel begann mit dem Ruf des einzelnen Kindes: ‚Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?‘ Die Gegenseite antwortete im Chor: ‚Niemand‘. Darauf das einzelne Kind: ‚Und wenn er aber kommt?‘ mit der Replik des Gegenchors: ‚Dann laufen wir davon‘. Wer vom Fänger berührt wurde, verstärkte von da an seine Gruppe, bis schließlich das letzte Kind von der Gruppe eingefangen wurde.
Die aktuelle Inflationsentwicklung macht aber offenbar noch niemandem wirklich Angst. Sie zeigt sich noch nicht bedrohlich genug. Der Anstieg der Jahresraten von noch -0,3% im Dezember 2020, auf aktuell (April-Prognose) 1,6% ist zwar beeindruckend, aber der Wert selbst immer noch unter dem Zielwert der EZB von 2%. Keine Gefahr also? Der schwarze Mann scheint noch allein und das Davonlaufen für die allermeisten möglich. Noch ist keine akute Bedrohung zu spüren.
Korrelation zwischen Inflation und Commodity-Preisen
Wenn man sich aber die Daten ansieht, die der Inflationsentwicklung zugrunde liegen, sieht die Bedrohungslage schon etwas ernster aus. In Euroland gibt es eine erstaunliche Korrelation mit den Waren- und Rohstoff-Preisen (Commodity-Preise). Die hohe Volatilität der Preise für Energie, Metalle und Nahrungsmitteln hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich in der Entwicklung der Preise für Güter und Dienstleistungen niedergeschlagen. Lag die durchschnittliche Inflationsrate seit Ende 1999 bis aktuell bei 1,58%, so überstieg sie in Phasen sehr starker Commodity-Anstiege (2001/2004; 2005/2008; 2010/2011; 2016/2018) mit Werten von 2,05%; 2,7%; 3,47% und 2,1% regelmäßig die Zielmarke der EZB. Darauffolgende Rückgänge in den Commodity-Preisen hingegen führten zu Disinflation - einer spürbaren Verringerung des Inflations-Tempos - (2004/2005; 2011/2016; 2018/2020) und sogar kurzen Phasen von Deflation (2008/2010; 2016;2020).
Nun sind die Commodity-Preise seit April 2020, dem letzten Tiefpunkt, bis heute um über 55% und annualisiert um 53% gestiegen. Dieses Ausmaß wurde nur in den Jahren 2005/2008 und die Dynamik noch nie übertroffen. Der letzte Anstieg mit vergleichbarer Dynamik im Jahr 2010/2011 mit einem Anstieg von über 30% p.a. war verbunden mit einer p.a. – Inflationsrate von 3,47% in diesem Zeitraum. Der absolut stärkste Anstieg der Commodity-Preise ohne längere Korrektur im Jahr 2005/2008 führte zu einer Preissteigerung von 2,7% p.a. in dieser Phase. Der aktuelle Anstieg der Commodity-Preise war bisher durch einen korrespondierenden Anstieg der Inflation in Höhe von nur 1,06% p.a. begleitet.
Was macht die Inflation? Welche Effekte wirken?
Zu erwarten wäre allein daraus jedoch ein Anstieg der p.a.-Rate auf deutlich über 3,5%. Da auch die Löhne in den letzten Jahren real wieder stärker gestiegen sind, gibt es auch von dieser Seite derzeit kaum Entlastung.
In den letzten 20 Jahren wurde die Inflationsentwicklung zudem durch die Globalisierung, stagnierende Reallöhne sowie die Automatisierung und Digitalisierung der Wirtschaft und damit höhere Produktivität gedämpft. Es stellt sich die Frage, ob diese Faktoren weiter in dem Ausmaß positiv wirken werden, oder ob die Repatriierung von Produktionskapazitäten zur Sicherung von Lieferketten, die Abschottung vor Konkurrenz durch Zölle und Handelshemmnisse, sowie technologisches „ringfencing“ zum Schutz nationaler Sicherheitsinteressen nicht doch auch inflations-treibend wirken. Die aktuellen Ungleichgewichte bei Angebot und Nachfrage, die neben der Spekulation in Rohstoffen für steigende Preise verantwortlich sind, lassen sich dann doch nicht nur als temporäre Nachholphänomene aus der Corona-Krise erklären, die bald wieder ausgeglichen werden.
Der schwarze Mann jedenfalls, konnte vom Erfolg seiner Bemühungen immer durch den Pausengong abgehalten werden. Doch an der Börse klingelt bekanntlich keiner.