„Ober sticht Unter“ ist eine Floskel aus dem bayerischen Kartenspiel Schafkopf und beschreibt die Wertigkeit von wichtigen Karten in diesem Spiel. Der Ober ist die Karte die dem König nähersteht und sticht damit grundsätzlich den Unter. Der Ober gewinnt die Punkte, der Unter hat das Nachsehen.
Auf diese kurze Formel lässt sich die Reaktion der EU-Kommission auf den Richterspruch des deutschen Verfassungsgerichts zur Entscheidung des EuGHs in Sachen Staatsanleihen-Aufkauf durch die EZB bringen.
Der EuGH hatte das EZB-Anleihekaufprogramm als mit den Aufgaben und Zielen der EZB konform eingestuft und damit das Programm gebilligt. Das deutsche Bundesverfassungsgericht dagegen, hatte im Mai 2020 das Programm in Teilen als verfassungswidrig eingestuft.
Eine Beteiligung der deutschen Bundesbank am Aufkaufprogramm wäre grundgesetzwidrig und daher nicht zulässig. Damit freilich wäre die gesamte Statik des Programms gefährdet, da ohne Deutschland der stabilste und auch von den Anteilen am Gesamtprogramm größte Aufkäufer entfiele.
Also ist mit dem deutschen Richterspruch Feuer unter dem Dach, das nur durch die Unterordnung der höchsten deutschen Gerichtsbarkeit unter die EU-Rechtsprechung gelöscht werden kann.
Die Frage kann zerlegt werden in den Aspekt der Zuständigkeit der Gerichte und in die Frage der Letztinterpretationskompetenz. Also die Frage, ob sich das Bundesverfassungsgericht überhaupt mit Fragen der Rechtmäßigkeit des Handelns von europäischen Institutionen befassen darf und wenn ja, wer die letztverbindliche Entscheidung treffen kann, das BVerfG oder der EUGH.
Nun wird mit dem Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission die deutsche Regierung aufgefordert, die Verletzung grundlegender Prinzipien des EU-Rechts‘ zu heilen. Wie das aussehen soll, ist unklar. Soll sie ein Gesetz erlassen, das die Minderwertigkeit von Entscheidungen des BVerfG gegenüber dem EUGH festlegt, Soll sie dem Gericht per Gesetz die Zuständigkeit für Angelegenheiten auf EU-Ebene entziehen oder das deutsche Grundgesetz zugunsten einer europäischen Verfassung abschaffen? Nichts davon wird natürlich passieren, solange in der Europäischen Union Staaten versuchen, grundlegende demokratische Elemente, die bei uns verfassungsmäßig geschützt sind, aufzuweichen oder gar abzuschaffen. In diesen Angelegenheiten ist die EU-Kommission wesentlich vorsichtiger und zögerlicher mit Vertragsverletzungsverfahren. Das EU-Parlament will die Kommission nun sogar wegen Untätigkeit beim Schutz von Rechtsstaatlichkeit beim EUGH verklagen.
Da die EU-Kommission aber bei einer nicht zufriedenstellenden Reaktion der Bundesregierung die Möglichkeit hat, vor dem EUGH zu klagen, wird es interessant sein zu beobachten, wie ein oberstes Gericht, der EUGH, tatsächlich in eigener Sache von solcher Tragweite (der Zuständigkeit und des Letztinterpretationsrechtes) zudem mit Bezug auf ein Urteil das es selbst gefällt hat, entscheiden wird. Dass die Kommission in den oben aufgeführten, ebenso problematischen "Tatbeständen" eher zögerlich agiert und laviert, in der Causa Deutschland aber so entschieden, liegt natürlich an der Brisanz, die in der offenen Frage liegt. Wenn es möglich bleibt, durch deutsche Gerichte die Statik des EU-Konstruktes zu gefährden, bleibt das ganze Projekt instabil.
Erst eine gewisse Selbstentmachtung der Nationalstaaten führt zu einer Integration, die Entscheidungen ermöglicht, die Europa nutzen, auch wenn sie einzelnen Staaten kurzfristig vermeintlich schaden.
Im Schafkopf gibt es eine Spielvariante, den sogenannten Wenz, bei dem der Unter den Ober sticht. In dieser Variante spielt dabei der Spieler, der den Wenz ‚ansagt‘ alleine gegen alle anderen Spieler. Hoffentlich führt das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission nicht auch zu einem Spiel einer gegen alle.